bannkreis.de

Wie spät ist es?

 Ich bin ja überzeugt davon, dass mir meine Eltern in frühester Jugend mein Zeitgefühl irreparabel vermasselt haben. Wie das geschehen ist? Eigentlich in einer absoluten Standardsituation: Lange Autofahrt. Ich auf dem Rücksitz unseres ollen Opel Rekord, der mit den stinkenden Polstern. Sind wir bald da? "Nur noch ne Viertelstunde". Eine Viertelstunde kommt einem als Sechsjähriger wie das halbe Leben vor. Kindern in diesem Alter fehlt noch vollkommen die Fähigkeit, den Schädel auf Durchzug zu stellen und die überflüssige Zeit durchgluckern zu lassen. Im Gegenteil, man erlebt jede Sekunde allzu bewusst. Verzweifelte Versuche aus der Situation irgendwelches Unterhaltungspotential zu schlagen. Rote Autos zählen. Alberne Worte aus Nummernschilder-Buchstabierungen bilden. Waren das schon fünf Minuten? Eher zwei.

Nochmal eine Runde vernehmlich vor sich hin nörgeln und sich im Ungemach der Eltern suhlen schindet wieder wertvolle Sekunden. Dann hat das Schicksal ein Einsehen und im Radio läuft ein Lied das man mag. Mitwippen, mitsummen. Tatsächlich mal für eine Weile die Zeit vergessen. Wie lange jetzt noch? "Zehn Minuten". 'Scuse me? Laut Uhr waren das jetzt mindestens schon zwanzig (oder wie ging das nochmal mit dem grossen und dem kleinen Zeiger...).

Ok, wird wohl stimmen. Jedenfalls immer noch zu lang um die Zeit sekundenzählend zu verbringen. Auf dem Rücksitz rumhopsen, langmachen, sich im Fußbereich verstecken. Schrittweise den Enervierungseffekt steigern, in etwa so wie bei chinesischer Wasserfolter. Die Kunst besteht darin, dem zuständigen Elternteil keine unmittelbare und eventuell noch abgeklärte Intervention zu erlauben, sondern mit seinen Tätigkeiten ganz knapp unterhalb des Niveaus zu bleiben, welches einen Einspruch rechtfertigen würde, und das über eine gegebenenfalls seeehr lange Zeit (im übrigen ist diese Kunst erblich, meine eigenen Kinder loten diesbezüglich ganz neue Leistungsklassen aus).

Auf diese Weise baut betroffene Person ein zusehens wachsendes Frustpotential auf welches sich zwangsweise irgendwann in einem, natürlich dann völlig übertriebenen, lauten Wutausbruch Bahn schafft  Man selbst quittiert diese Darstellung elternlichen Unvermögens natürlich mit einer ebenso übertriebenen Heulattacke und ist keineswegs so einfach wieder zu beruhigen. Erst nach Kredenzung beliebiger Süßigkeiten darf wieder Ruhe einkehren, lediglich unterbrochen durch redlich verdiente Schluchzer, die alle Fahrgäste an das erlittene Unrecht erinnern sollen.

Das sollte jetzt aber wirklich die notwendige Zeit überbrückt haben. Umschauen. Irgendwie ist immernoch keine Destination in Sicht, die Schilder immernoch autobahnblau. Oh mann, WIE LANGE DENN JETZT NOCH? "Naja, vielleicht noch fünf Minuten." Sie rächen sich. Sie rächen sich immer. Pure Bosheit, bestimmt sind sie extra an der Ausfahrt vorbei.

Das an alle, die sich über meine notorische Unpünktlichkeit beschweren. Ihr wisst, an wen ihr euch zu wenden habt.

Bitte geben Sie hier Ihren Kommentar ein:

Verwende Markdown Syntax

Autor

About

Last comments

  • Oliver:
    Als Antwort auf "Anonym" vom 27. Dezember 2015 (..
  • anonym:
    Habbo als abzocke zu deklarieren finde ich schon..
  • anonym:
    Wenn du es dir leisten kannst und es dich glückl..
  • Jebote:
    ja sicher kommen alle auf diesen 5 jahre alten a..
  • Micha:
    @Ingo, na klar. Alles legitim und voll ok ;-) Mu..

Really currently consuming

Links

  • Mehr Whisky
  • Ich@last.fm
  • Ich@Twitter
  • Dina
  • Julia
  • Der Meister (nebst Frau Meister)
  • Rockender Webworker
  • Irgendwas mit Fischen