bannkreis.de

Phantomwahl

Wählen zu können ist gut, richtig? Wer seine Möglichkeit an Wahlen teilzunehmen nicht wahrnimmt, der tritt die demokratische Kultur mit Füßen, der begünstigt im schlimmsten Fall Randgruppen deren Einfluss aufgrund geringer Wahlbeteilung "normal denkender" Menschen steigt.

Die Einsicht dass auch hier mal wieder die Realität nicht so eindimensional ist wie sie oft scheint flatterte mir in Form eines rosaroten Umschlages mit aufgedrucktem überdimensionalen Smiley ins Haus: Die Sozialwahl 2011 für das Parlament der deutschen Rentenversicherung.

Gut sagte ich mir, Wahl ist Wahl. Man wird sich halt informieren und dann gewissenhaft seinen Favoriten herauspicken. Informiert habe ich mich nun, und dafür entschieden diese Wahl zu boykottieren.

Schaut man sich die Pressestimmen zur Sozialwahl an, so wird allerorten darüber fabuliert warum dies eine "unpopuläre Wahl" ist, die in ihren Anfangstagen sogar nur 20 Prozent der Wähler an die Urnen locken konnte. Daraufhin wurde das Verfahren zur Briefwahl umgestellt, so dass jeder Wahlberechtigte unweigerlich automatisch informiert wird. Resultat: Um die 30% Wahlbeteilung.

Es ist ja garnicht mal dass sich Experten nicht entscheiden können, ob das Sozialparlament ein pures Abnick-Gremium ohne echte Kompetenzen ist (der für den Bürger "interessanteste" Teil der Sozialversicherung, nämlich der Beitrag, wird von der Regierung festgelegt) oder tatsächlich wichtige Entscheidungen über die Verwendung eines großen Etats trifft, was ich ja eigentlich gerne glaube.

Eine Wahl lebt davon dass es unterschiedliche Positionen mit echten Auswirkungen zu wählen gibt. Aber wo sind die? Zur Wahl stehen Gewerkschaften und Interessenvertretungen von Krankenkassen, Ich habe mir den zweifelhaften Spaß gemacht zu recherchieren, wofür diese Kandidaten im Parlament zukünftig zu stehen gedenken. "Solidarität wählen. Gute Leistungen gerecht finanzieren" sagt die IG Metall. Bei der Barmer wählt man "Gesundexperten mit Bodenhaftung". ver.di möchte sich gerne "Stark für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Erwerbslose und für Rentnerinnen und Rentner" machen.

Ich darf zusammenfassen: Mehr gut, weniger schlecht, konkretes Programm Fehlanzeige, bitte vertraut uns einfach. Bezeichnender Weise vergessen manche der der zur Wahl stehenden Organisationen in ihren Internetauftritten neben einem allgemeinen Aufruf zur Wahlbeteiligung auch dabei für sich selbst zu werben.

Zudem sind diese Organisationen im Parlament auch noch in Listenverbindungen zusammengeschlossen, was der Möglichkeit einer gezielten Intention des Wahlkreuzchens letztlich den finalen Rettungsschuss versetzt. Wer zum Beispiel den christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands wählt, der hilft auch dem dbb Beamtenbund und der Gewerkschaft der Sozialversicherung ins Parlament.

Keine Positionen, kein Wahlkampf, keine übermäßig vertrauenswürdigen Kandidaten, keine Transparenz, keine Wahl. Meinen rosa Smiley-Umschlag delegiere ich hiermit an den runden Sachbearbeiter unter meinem Schreibtisch.

Was könnte man besser machen? Dass dies keine richtige Wahl ist hat tiefer liegende Gründe, und der Hauptgrund scheinen mir die Kandidat-Unternehmen zu sein. Alles alte, große, schwerfällige, satte Unternehmen die kein echtes Interesse an einer Mobilisierung des Wählers zu haben scheinen. Öffnet das Parlament und damit die Wahl für echte Bürgervertretungen die wirklich etwas bewegen und anders machen wollen, und es könnte etwas Musik in die Sache kommen. Wird ein Kandidat mit seinen Themen konkreter so könnten sich die anderen genötigt fühlen nachzuziehen.

Ach ja, und dieses Wahlsystem mit Listenverbindungen bedürfte auch dringend einmal eine Revision.

Das würde die Sozialwahl zwar vermutlich auch nicht zum absoluten Renner machen. Aber dem Anteil der Wähler der sich wirklich bewusst entscheiden will - und das sind, glaube und hoffe ich, garnicht so wenige - dem würde eventuell eine echte Wahl geboten.

Kommentare:

Guido Mittwoch 18. Mai 2011, 14:59

Nur gaaaaanz am Rande:
"Bezeichnender Weise" - ist das neue Rechtschreibung oder Selbstironie nach all den Jahr'n der Kalauer? ;-))

(und ganz am Rande teste ich hiermit auch, ob mich die Kommentarfunktion immer noch hasst... und bewudere still, dass Du Zeit für sone Recherche hast)

Dina Montag 23. Mai 2011, 12:27

Nein, es muss bezeichnenderweise heißen, immer noch. Aber bei Oliver lassen wir das mal gelten.

Zum Text: Es hat soooo viele Vorteile, selbstständig zu sein! Ein schon lange nicht mehr funktionierendes und unaufhaltsam seit Jahren gegen die Wand fahrendes System nicht zu unterstützen ist einer davon. Und ich kann meinem Herrn Gemahl nun ruhigen Gewissens sagen, dass die Ablage bei dem anderen Altpapier richtig war.
Sozialstaat: *seufz*

Oliver Montag 23. Mai 2011, 13:50

'Tschuldigung, hatte kein Ahnung dass die Grammatik-Gestapo um die Ecke lauert. Ich gelobe Besserung, belasse existierende Schreibweise jedoch zu dokumentarischem, oder gar mahnendem, Zwecke.

Bitte geben Sie hier Ihren Kommentar ein:

Verwende Markdown Syntax

Autor

About

Last comments

  • Oliver:
    Als Antwort auf "Anonym" vom 27. Dezember 2015 (..
  • anonym:
    Habbo als abzocke zu deklarieren finde ich schon..
  • anonym:
    Wenn du es dir leisten kannst und es dich glückl..
  • Jebote:
    ja sicher kommen alle auf diesen 5 jahre alten a..
  • Micha:
    @Ingo, na klar. Alles legitim und voll ok ;-) Mu..

Really currently consuming

Links

  • Mehr Whisky
  • Ich@last.fm
  • Ich@Twitter
  • Dina
  • Julia
  • Der Meister (nebst Frau Meister)
  • Rockender Webworker
  • Irgendwas mit Fischen